Geschrieben von micrometer am 30.10.2005 um 10:44:
1999 Urteil
Arbeitsunfall - Unfall bei der Notdurft auf dem Heimweg?
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SOZIALGERICHT GELSENKIRCHEN
Az.: S 10 U 256/98
Verk?ndet am 14.06.1999
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In dem Rechtsstreit hat die 10. Kammer des Sozialgerichts Gelsenkirchen auf die m?ndliche Verhandlung vom 14.06.1999 f?r Recht erkannt:
Der Bescheid der Beklagten vom 02.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.09.1998 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, den Unfall des Kl?gers am 15.10.1997 als Arbeitsunfall nach Ma?gabe der gesetzlichen Bestimmungen zu entsch?digen.
Die Beklagte tr?gt die notwendigen au?ergerichtlichen Kosten des Kl?gers.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kl?ger einen von der Beklagten zu entsch?digenden Arbeitsunfall erlitten hat.
Den Kl?ger ?berkam am 15.10.1997 auf dem Heimweg von seiner Arbeit in Dortmund kurz vor Erreichen seiner Wohnung in Gelsenkirchen ein starkes Bed?rfnis, seine Blase zu entleeren. Er hielt sein Fahrzeug am Wissenschaftspark Gelsenkirchen an, um im Geb?sch seine Notdurft zu verrichten. Dort rutschte er bei N?sse aus, st?rzte und zog sich einen Oberarmbruch rechts zu. Mit Bescheid vom 02.04.1998 lehnte die Beklagte Entsch?digungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begr?ndung ab, da? es sich bei der Verrichtung der Notdurft um eine eigenwirtschaftliche, unversicherte T?tigkeit gehandelt habe. Den hiergegen vom Kl?ger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.1998 zur?ck. Dabei wies sie darauf hin, da? nur der Weg zur Verrichtung der Notdurft versichert sei, nicht aber die Verrichtung der Notdurft selbst.
Mit der am 05.11.1998 erhobenen Klage vertritt der Kl?ger die Rechtsauffassung, da? es in Rechtsprechung und Literatur anerkannt sei, da? Versicherungsschutz f?r einen Arbeitnehmer bestehe, wenn dieser auf der Betriebsst?tte oder auf dem Nachhauseweg die Notdurft verrichte.
Der Kl?ger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 02.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seinen Unfall am 15.10.1997 als Arbeitsunfall nach Ma?gabe der gesetzlichen Bestimmungen zu entsch?digen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Nach Ansicht der Beklagten bestand kein Zusammenhang zwischen der Verrichtung der Notdurft und dem Besch?ftigungsverh?ltnis, weil sich der Unfall nicht mehr in der N?he der Betriebsst?tte des Kl?gers ereignete.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten. Alle diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der m?ndlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgr?nde
Die statthafte Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zul?ssig. Sie ist auch in der Sache selbst begr?ndet. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung ist rechtswidrig und der Kl?ger ist dadurch im Sinne von ? 54 Abs. 2 Satz l SGG beschwert. Dem Kl?ger stehen die Entsch?digungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu, weil er am 15.10.1997 einen Arbeitsunfall im Sinne von ? 8 Abs. l SGB VII erlitten hat.
Der Kl?ger ist bei einer versicherten T?tigkeit verungl?ckt, weil sich der Unfall beim Zur?cklegen des mit der versicherten T?tigkeit zusammenh?ngenden unmittelbaren Weges von dem Ort der T?tigkeit (als Geb?udereiniger in Dortmund) nach Hause ereignet hat (? 8 Abs. 2 Nr. l SGB VII). Der Versicherungsschutz ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht dadurch entfallen, da? der Kl?ger den Heimweg unterbrochen hatte zur Verrichtung der Notdurft.
Der Beklagten ist zuzugeben, da? das Verrichten der Notdurft dem pers?nlichen und unversicherten Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen ist und daher grunds?tzlich nicht unter Unfallversicherungsschutz steht. Dagegen steht der Weg zur Verrichtung der Notdurft unter Unfallversicherungsschutz, weil der Versicherte durch seine T?tigkeit gezwungen ist, seine Notdurft an einem anderen Ort zu verrichten, als er dies in seinem h?uslichen Bereich getan haben w?rde (BSG SozR 2200 ? 548 Nr. 35 und Nr. 97). Von ihrem Rechtsstandpunkt aus h?tte die Beklagte folglich ermitteln m?ssen, ob der Kl?ger w?hrend der Notdurft (=unversichert) oder noch auf dem Weg zur Notdurft (=versichert) oder auf dem R?ckweg nach dem Wasserlassen (=versichert) verungl?ckt ist. Dabei w?re zu bedenken gewesen, da? der Kl?ger bei N?sse ausgerutscht ' ist. Die Gefahr des Ausrutschens besteht w?hrend einer Fortbewegung in weit gr??erem Ma?e als bei einer stehenden T?tigkeit. Die Verrichtung der Notdurft erfolgt erfahrungsgem?? nicht w?hrend der Fortbewegung. Schon dieser Gesichtspunkt spricht daf?r, da? der Kl?ger noch auf dem Weg zur Verrichtung der Notdurft verungl?ckt ist und dabei unter Unfallversicherungsschutz stand. Die Beklagte hat jedoch ohne entsprechende Feststellungen unterstellt, da? der Kl?ger verungl?ckte, w?hrend er gerade seine Notdurft verrichtete.
Eine endg?ltige Kl?rung, ob der Kl?ger w?hrend der Verrichtung der Notdurft oder auf dem Weg dahin verungl?ckte, kann jedoch unterbleiben. Im vorliegenden Fall bestand ausnahmsweise auch w?hrend der Verrichtung der Notdurft Versicherungsschutz unter dem Gesichtspunkt "besondere Gefahrenmomente". Denn hier stellen die ?rtlichen Gegebenheiten (unebener Boden, N?sse, schlechte Sichtverh?ltnisse im Geb?sch) eine besondere Gefahrenquelle dar, die die wesentliche Ursache des Sturzes war. Der Kl?ger war dieser Gefahrenquelle nur deshalb ausgesetzt, weil er auf dem R?ckweg von der Arbeit seine Notdurft an einem anderen Ort verrichten mu?te, als er dies in seinem h?uslichen Bereich getan h?tte. In seiner Wohnung h?tte f?r den Kl?ger keine derartige Rutschgefahr bestanden.
Die Kostenentscheidung der nach alledem begr?ndeten Klage beruht auf ?? 183, 193 SGG.